Scheinselbständigkeit bei der VHS?

Die VHS Göttingen, früher ein eingetragener Verein, heute die VHS Göttingen-Osterode gGmbH, war und ist trotz einiger struktureller Veränderungen für die Stadt und die Region von unschätzbarem Wert. Das Angebot ist über die Jahre hinweg immer vielfältiger geworden und geht weit über die „klassischen“ Urlaubssprachkurse, Fotoworkshops oder EDV-Weiterbildungsseminare hinaus.

Nach vielen Konflikten um die Wiedertarifierung der Festangestellten und das selbstherrliche Verhalten des ehemaligen Geschäftsführers Eberwien (der Betriebsexpress berichtete)  kommt nun ein anderer Bereich in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit:

die sogenannten Schulabschlusskurse unterrichtet von freien und formal selbstständigen DozentInnen.VHS Symbolbild klein

Dieser immens wichtige und stetig gewachsene Bereich der Volkshochschule fand in der öffentlichen Wahrnehmung bislang nur wenig Beachtung. Dabei bietet der zweite Bildungsweg mit den sogenannten Schulabschlusskursen  seit Jahrzehnten für viele, vor allem junge Menschen, die Chance, nachträglich den Haupt- oder Realschulabschluss zu erwerben und so persönliche und berufliche Ziele zu verwirklichen. Dass dies gelingt, hängt in erheblichem Maße auch an der Arbeit der dortigen DozentInnen und deren oft jahrelanger Erfahrung, Einsatz und Engagement. Aber zu welchen Bedingungen?

Etwa 150 TeilnehmerInnen unterschiedlichster Herkunft besuchen jedes Schuljahr die Schulkurse am Standort Hans-Christian-Andersen-Schule. Für alle eine intensive Zeit mit vollen Stundenplänen, Unterricht, Projektwochen, Kursfahrten, Berufsvorbereitung und vielem mehr, an deren Ende ein Großteil der Teilnehmenden stolz ihre Haupt- oder Realschulzeugnisse in den Händen hält. Dabei ist der Schulbesuch für viele keine Selbstverständlichkeit. Einige Teilnehmende haben schlechte Schulerfahrungen hinter sich, kämpfen mit persönlichen, mit familiären und teils auch mit gesundheitlichen Problemen. Neben dem eigentlichen Unterricht bieten die Schulkurse für viele dieser jungen Menschen die Möglichkeit, Selbstvertrauen zu gewinnen und stabile Strukturen aufzubauen. Darüber hinaus verändert auch die steigende Zahl Geflüchteter die Aufgaben und das Profil des Zweiten Bildungswegs. Dieser wird durch den Sprachunterricht, die interkulturelle Ausrichtung und der Möglichkeit zum Erwerb staatlich anerkannter Schulabschlüsse für viele zur entscheidenden Integrationsinstanz.

In schroffem Gegensatz zu der enormen gesellschaftspolitischen Relevanz der hier geleisteten Bildungs- und Integrationsarbeit steht die finanzielle Ausstattung dieses Bereichs. Zu kleine und schlecht ausgestattete Unterrichtsräume und fehlende technische Hilfsmittel bilden dabei aber nur ein kleinen Teil des Problems.

Prekäre Beschäftigung

Wesentlich dramatischer wirkt sich die Situation der Lehrkräfte aus. Derzeit arbeiten im Bereich Schulabschlusskurse in Göttingen 19 DozentInnen, etwa sechs bis acht davon in Vollzeit, d.h. mit einem Stundenumfang von 24-36 Unterrichtsstunden pro Woche. Die DozentInnen sind als freiberufliche Honorarkräfte bei der VHS beschäftigt und erhalten ein Honorar in Höhe von 22,50 € brutto für jede Unterrichtseinheit. Dieser Betrag umfasst auch die Vor- und Nachbereitungszeit sowie Korrekturen.

Nach Abzug von Renten- und Krankenversicherung und unter Berücksichtigung der tatsächlich aufgewendeten Arbeitszeit bleibt - Berechnungen der Beschäftigten zufolge - vielen nur ein realer Stundenlohn von etwa 6,20 €. Die Lehrkräfte erhalten keinen Urlaub und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Existentielle Belastungen bei längerer Krankheit und drohende Altersarmut sind die Folge.

Seit etwa zwei Jahren kämpfen die DozentInnen der Schulabschlusskurse mit Unterstützung der GEW nun um eine Verbesserung ihrer Situation. Im Mittelpunkt steht dabei aber nicht nur eine deutliche Anhebung der Honorare, sondern auch die Schaffung rechtssicherer Beschäftigungsverhältnisse, denn der Status ‚Honorarkraft‘ wirft im Bildungsbereich natürlich auch die Frage einer möglichen Scheinselbstständigkeit auf. Die Arbeit der Lehrkräfte in den Schulkursen der VHS Göttingen-Osterode gGmbH entspricht kaum den Kriterien einer freiberuflichen Tätigkeit. Unterricht in Vorbereitung auf staatliche Schulabschlüsse gemäß curricularer Vorgaben, feste Stundenpläne mit vorgegebenen Unterrichtszeiten, sowie Prüfungsvorbereitung, Prüfungskonzeption und Prüfungskorrekturen lassen das ‚frei' in freiberuflich doch reichlich absurd erscheinen. Der Arbeitskampf der DozentInnen gestaltet sich insgesamt jedoch als extrem schwer. Sicherlich auch bedingt durch das Fehlen eines offiziellen Vertretungsorgans war es für die DozentInnenvertretung lange Zeit schwierig, überhaupt mit den Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen. Sowohl die damalige Geschäftsführung als auch der Aufsichtsrat haben sich der Thematik regelrecht verweigert. Nach unzähligen Bitten und Nachfragen hat erst der Weg über die Öffentlichkeit und der Hinweis auf mögliche rechtliche Schritte erste Gespräche ermöglicht.

Die Frage der rechtlichen Einstufung der Beschäftigungsverhältnisse ließe sich natürlich auch vom Arbeitsgericht klären. Ein Teil der DozentInnen ist aber durch wiederholte Aussagen zu einer möglichen Schließung des Zweiten Bildungswegs an der VHS als Folge einer solchen Klage verunsichert, denn die ohnehin bestehenden Existenzsorgen werden durch derartige Szenarien natürlich verschärft. Die Verantwortlichen schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu, wer finanziell Sorge tragen müsse und unisono verkünden sie immer wieder, dass das nicht bezahlbar sei.

Alternativen sind möglich

Dabei gibt es alternative Modelle an anderen Volkshochschulen. So hat sich die VHS Hannover bereits vor Jahren entschlossen, einen kleineren Teil feste Stellen zu schaffen und nur noch bei Bedarf und in kleinerem Umfang auf Honorarkräfte zurückzugreifen. Auch an der VHS Hildesheim sind Festanstellungen eher der Normalfall. Sicher sind derartige Veränderungen nicht über Nacht zu erreichen, aber nach über zwei Jahren sollten doch wenigstens erste Schritte in die richtige Richtung erfolgt sein. VHS, Stadt und Landkreis sollten ihre Politik des Verdrängens, Verschiebens und Vertagens endlich beenden und Verantwortung übernehmen – nicht nur für die prekär Beschäftigten, sondern für den 2. Bildungsweg insgesamt.