Sartorius ist in Göttingen seit langem der größte industrielle Arbeitgeber. Daher schauen viele Menschen besonders genau hin, wie sich die wirtschaftliche Lage dieses Unternehmens entwickelt. Seit Beginn des Jahres 2009 ist die Mechatronik bei Sartorius, wie viele andere Industriebetriebe, von einer schweren Krise betroffen. Bereits Ende 2008 gab es erste Anzeichen

und in den ersten beiden Quartalen 2009 wurde das gesamte Ausmaß der Krise sichtbar: der Umsatz ging drastisch zurück und trotz einer leichten Erholung in der zweiten Jahreshälfte blieb ein Minus von 15% gegenüber 2008. In der Biotechnologie (Filterproduktion) gab es dagegen ein Umsatzwachstum von über 9%, so dass der Gesamtumsatz nur um 1,6% geschrumpft ist.

Volle Auftragsbücher

„Mit einem blauen Auge davon gekommen“, könnte man angesichts der gesamtwirtschaftlichen Krise meinen, zumal die KollegInnen berichten, dass inzwischen wieder ganz andere Probleme bei Sartorius auf dem Tisch liegen: seit einigen Monaten kommen mehr Waagenbestellungen rein als in der Produktion geschafft werden kann. Das ist natürlich positiv für die KollegInnen, die in Kurzarbeit mit Qualifizierungsmaßnahmen (Kurzarbeit Null) geschickt worden sind und nun an ihre Arbeitsplätze zurück geholt wurden. Trotzdem sind die KollegInnen insgesamt nicht begeistert über das Management, das mit dem Rasenmäher durch alle Abteilungen gegangen ist und überall und zu viele KollegInnen in Kurzarbeit Null geschickt hat. Verständlich, wenn man weiß, dass der Betriebsrat bereits seit Monaten davor gewarnt hat, dass die Firma Gefahr läuft, Marktanteile zu verlieren, weil die Kunden nicht zeitgerecht beliefert werden können.

Jammern auf hohem Niveau?

Nun könnte man das Jammern auf hohem Niveau nennen, man sollte aber nicht vergessen, wie die Bilanzzahlen zustande gekommen sind. Dass der Sartorius Konzern im Jahr 2009 insgesamt sogar einen kleinen nominellen Gewinn schreibt, ist wohl hauptsächlich auf Gehaltsverzicht der KollegInnen zurückzuführen:
Die Tariferhöhung 2009 in der Mechatronik wurde um 7 Monate verschoben
Fast alle KollegInnen der Mechatronik haben Kurzarbeit gemacht und auf bis zu 10% Netto verzichtet
Für die KollegInnen in der Produktion gab es weitere Einbußen durch den Wegfall von Schichtzulagen und Prämien
Leiharbeiter und befristete KollegInnen haben ihren Arbeitsplatz verloren
ca. 140 KollegInnen wurden in der zweiten Jahreshälfte in „Kurzarbeit Null“ geschickt, verloren so fast 20% der Bezüge und noch immer sind ca. 100 von ihnen vom Verlust des Arbeitsplatzes bedroht (ca. 30 KollegInnen arbeiten aufgrund der besseren Konjunktur wieder voll)
Durch eine neue Prämienregelung, die Anfang 2010 in der Mechatronik eingeführt wurde, verlieren die Beschäftigten nochmal 5% des Gehalts – mit der vagen Aussicht, es bei gutem Geschäftsverlauf wieder zu bekommen
In der Biotechnologie ist vor über einem Jahr ebenfalls ein Prämiensystem vereinbart worden und eine unbezahlte Wochenarbeitsstunde eingeführt worden
All dies hat die Stimmung unter den KollegInnen natürlich nicht verbessert. In der Mechatronik kritisieren viele KollegInnen vor allem das neue Prämiensystem, denn die meisten halten es für unrealistisch, dass sich der Konzerngewinn in den nächsten Jahren so verbessert, dass der Gehaltsverlust durch eine Prämie kompensiert werden kann. Sie sehen sich da bestätigt durch die Situation in der Biotechnologie, wo trotz der guten Ergebnisse in der zweiten Jahreshälfte 2009 keine großartige Prämie sprudelte. Es ist kaum zu erwarten, dass die vielzitierte „Möhre“ zu höheren Leistungen motiviert, wenn sie so hoch hängt, dass der Esel fliegen können müsste, um sie zu erreichen.

Gehaltssicherung

Dass es auch anders geht, beweist hier der Vorstandschef Kreuzburg, dessen Erfolgsprämie in 2009 trotz des bescheidenen Jahresergebnisses nahezu konstant blieb. Der Fairness halber sei hier erwähnt, dass der Vorstandsvorsitzende allerdings auf einen Teil seines Festgehaltes verzichtet hat, so dass er in diesem Jahr „nur“ 726.000 Euro nach Hause tragen konnte.
Für Unruhe sorgt in der Biotechnologie auch die Tatsache, dass der in großen Zeitungsartikeln verkündete Neubau einer Ziehmaschine, für den die KollegInnen auf so manchen Euro Gehalt verzichten müssen, immer noch nicht begonnen ist. Nach dem letzten Informationsstand ist jetzt eine verkleinerte Variante geplant – angesichts der weiterhin hohen Verschuldung des Konzerns müssen Investitionen wohl im Moment auf Sparflamme gekocht werden.

Sparflamme

Der Grund für diese Sparsamkeit wird bei einem genaueren Blick in die Bilanz deutlich: der erwirtschaftete Gewinn reicht bei Weitem nicht aus, die Gewinnanteile der Minderheitsgesellschafter in der Sartorius Stedim S.A. auszuzahlen. Rechnet man diese Anteile in Höhe von ca. 8 Mio. Euro heraus, so bleibt letztlich ein Verlust von 43 Eurocent pro Aktie. Dass es trotzdem geplant ist, den Aktionären eine Dividende von 40 bzw. 42 Cent pro Aktie – insgesamt 7 Mio. Euro – auszuzahlen, zeigt den KollegInnen, wofür sie eigentlich Verzicht üben mussten. Irritierend sind in diesem Zusammenhang übrigens auch die 6 Mio. Euro, die im Jahr 2009 an ehemalige Geschäftsführer bzw. an deren Hinterbliebene gezahlt wurden.