Es herrscht Land auf, Land ab Einigkeit darüber, dass Leiharbeit Scheiße ist. In der Umgangssprache ist deswegen auch nicht vom 'verleihenden Betrieb' die Rede, sondern vom Sklavenhändler. Dabei müsste Leiharbeit nicht unbedingt etwas Ehrenrühriges sein.

Man stelle sich vor: eine Firma bezahlt jemanden auch dafür, dass er sich in Bereitschaft hält, irgendwo hochflexibel aus zu helfen, wo gerade Not am Mann ist. Man stelle sich vor, eine LeiharbeiterIn bekäme das gleiche Geld wie die fest angestellten KollegInnen – nur noch einen Bonus von 15% oben drauf als Ausgleich für die Unsicherheit des Arbeitsplatzes. Das wäre dann zwar nicht der Traumarbeitsplatz – aber immerhin für manch einen attraktiv, der mit der 'Sicherheit' eines festen Arbeitsplatzes in seiner Lebensplanung (noch) nichts anfangen kann. Das klingt wie eine Utopie – ist aber völlig normale Realität in Frankreich, wo es für Leiharbeiter eben diesen 15%igen 'Prekariatszuschlag' gibt. Natürlich klingelt jetzt gleich das Gejaule der Arbeitgeberverbände in den Ohren, das sei das Ende der Leiharbeit, der Flexibilität und des Abendlandes. Tatsächlich gibt es aber in Frankreich etwa genau so viele LeiharbeiterInnen wie in Deutschland. Die Firmen sind also offensichtlich bereit, für flexible Produktionskapazitäten ein bisschen mehr auf den Tisch zu legen.
In Deutschland ist dagegen nach der weitgehenden Deregulierung der Leiharbeit ein beispielloser Unterbietungswettbewerb eingetreten. Dabei sieht das Arbeitnehmer-Überlassungs-Gesetz (AÜG) vor, dass LeiharbeiterInnen genau so bezahlt und behandelt werden wie die fest angestellten KollegInnen. Der einzige Trick: falls es in der Leiharbeitsfirma einen gültigen Tarifvertrag gibt, gilt dieser. Das Einzige, was die Leiharbeitsfirmen also tun mussten, war die Gründung bzw. Anwerbung einer (un)christlichen Gewerkschaft, die ihnen irgend so ein Papier unterschreibt. So kamen Tarifverträge zustande, die Mindestlöhne von z.B. 5,70 €/h vorsahen und dann sogar noch Öffnungsklauseln zum Unterschreiten dieser Löhne beinhalteten.
In dieser Situation haben sich dann auch IG Metall, ver.di und der DGB auf Tarifverträge mit der Leiharbeitsbranche eingelassen. Dadurch waren die Bedingungen zwar leicht verbessert, aber mit Ruhm bekleckert haben sich die großen Gewerkschaftsverbände damit nicht, denn sie boten damit den legitimierenden seriösen Anstrich für diese Form von Lohndumping.
Aber die Gier vieler Ausbeuter in den Chefetagen von großen Konzernen und kleine Krautern kannte keine Grenzen. Es wurden immer neue Tricks entwickelt, um die Lücken des AÜG auszunutzen. Diese Lücken sind allerdings nicht durch Schlamperhaftigkeit des Gesetzgebers da hineingekommen – nein sie wurden im Laufe der Gesetzesgeschichte „hinein erfunden“, z.B. von der rot-grünen Regierung im Rahmen der Agenda 2010:
a) die zeitliche Begrenzung der Leiharbeit wurde gestrichen,
b) das sogenannte 'Synchronisationsverbot' wurde gestrichen, so dass die Verleiher den LeiharbeiterInnen nun sofort kündigen können, wenn in ihrem Betrieb keine Arbeit da ist
c) zusätzlich wurde die Möglichkeit geschaffen, Arbeitslose weit unter Tarif zu seinem aktuellen Arbeitslosengeld einzustellen.
Ein dreistes Beispiel von Ausbeutung, das in der Presse viel Beachtung fand, war der Fall Schlecker: KollegInnen wurden auf die Straße geschickt und von einer zum Konzern gehörenden Leiharbeitsfirma gleich wieder eingestellt – auf dem gleichen Arbeitsplatz und zu weit niedrigeren Löhnen. Es sei allerdings erwähnt, dass Schlecker bei Weitem nicht die einzige Firma ist, die dies so macht – vielleicht ist sie nur die ungeschickteste.
Jedenfalls hat der Schlecker und die Öffentlichkeitsarbeit von ver.di in diesem Fall einiges bewirkt. Es wurde für Politiker plötzlich schick, sich von solchen (ja eigentlich gewollten) Effekten des Gesetzes zu distanzieren. Der Missbrauch des Gesetzes müsse unterbunden werden, hieß es allenthalben. Jetzt hat die Arbeitsministerin von der Leyen einen Entwurf zur Änderung des Gesetzes vorgelegt. Aber wieder erweist sich die CDU als Sachwalter von Kapitalinteressen. Statt die unselige Ausnahme 'eigener Tarifvertrag' endlich zu streichen und damit das Prinzip 'equal pay', also gleiche Bezahlung, für die LeiharbeiterInnen festzuschreiben, gibt es nur eine billige Ausnahme von der Ausnahme. Künftig soll lediglich der sogenannte 'Drehtür-Effekt' verhindert werden, d.h. das Feuern und gleich wieder Einstellen im gleichen Betrieb soll erschwert werden. Kein Wunder, dass außer dem (Un-)Christlichem Gewerkschaftsbund CGB die Gewerkschaften kein gutes Haar an dem Entwurf lassen. Einziger echter Fortschritt in dem Gesetzentwurf ist die Streichung der untertariflichen Bezahlung für Arbeitslose und das geplante Verbot von Ablösezahlungen für LeiharbeiterInnen, die fest eingestellt werden sollen.
Der letzte Punkt ist allerdings nur die längst überfällige Umsetzung einer EU-Richtlinie, die diese Ablösezahlungen verbietet. Das wäre mal ein Beispiel für ein arbeitnehmerfreundliches Gesetz. Leider droht aus Brüssel aber gleich wieder neues Ungemach in Form der vollen Freizügigkeit für ArbeitnehmerInnen ab 1. Mai 2011. Ab diesem Zeitpunkt können Leiharbeitsfirmen ihre Arbeitskräfte in der gesamten EU zu den Tarifen des jeweiligen Heimatlandes verleihen. Damit ist eine weitere Unterbietungsrunde eröffnet. Laut einer Umfrage der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza sind etwa 500.000 Polen bereit, zum Geld verdienen ins Ausland zu gehen. Und nicht nur polnische Leiharbeitsfirmen stehen bereit, den Ausbeutermarkt in Deutschland zu bedienen, auch deutsche Firmen gründen bereits Niederlassungen in Polen, um dann LeiharbeiterInnen nach Deutschland zu 'liefern'. Tomasz Major, Chef des polnischen Unternehmerverbands für grenzüberschreitend tätige Zeitarbeitsfirmen IPP, berichtet in der Frankfurter Rundschau: „Einige haben von polnischen Rechtsanwälten Firmentarifverträge aufsetzen lassen, in denen Dumping-Stundenlöhne von vier, fünf Euro stehen“. … „Nach dem 1. Mai werden diejenigen in Deutschland ihr Glück versuchen wollen, die auf dem polnischen Arbeitsmarkt ihre Schwierigkeiten haben: Arbeitslose mit schlechter Ausbildung“, sagt er voraus. „Aber auch wer in Polen für umgerechnet 1,20 Euro oder wenig mehr arbeitet, wird es lohnend finden, sich für drei Euro anzubieten“.
Einziger Lichtblick in der Leiharbeitsdebatte ist der Tarifabschluss in der Stahlindustrie, der eine (annähernd) gleiche Bezahlung von LeiharbeiterInnen festschreibt – und da ist es egal, ob das nun Christiane aus Groß Schneen oder Krzysztof aus Toruń ist.
Spannend wird auch der Ausgang eines langen Verfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht. Hier geht es um die Frage, ob die christlichen Gewerkschaften überhaupt berechtigt waren, in der Leiharbeitsbranche einen Tarifvertrag abzuschließen – mehrere Landesarbeitsgerichte haben ihnen die Tariffähigkeit bereits abgesprochen. Sollte das Bundesarbeitsgericht genauso entscheiden, wäre der Weg frei, einen vernünftigen Tarifvertrag deutlich über dem jetzigen Niveau auszuhandeln, wenn – tja wenn der DGB im Frühjahr nicht längst einen Tarifvertrag für die nächsten vier Jahre abgeschlossen hätte. Mit der Leiharbeit ist es also so wie immer in der Politik: Niemand sollte sich darauf verlassen, dass andere für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen – auch dann nicht, wenn es um die Gewerkschaften geht, die ja genau zu diesem Zweck gegründet sind. Auch im Bereich der Leiharbeit müssen die Beschäftigten auf die eigene Kraft vertrauen und im Zweifel selber in Schwung kommen, wenn in ihrem Betrieb Lohndrückerei durch Leiharbeit betrieben wird – in ihrem eigenen Interesse und im Interesse der KollegInnen, die zu Dumpinglöhnen in ihren Betrieb geschickt werden.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als Solidarität.