Dass die Arbeit im Transport- und Logistikgewerbe kein Zuckerschlecken ist, das dürften die meisten LeserInnen des GBE wissen. Und dabei geht es nicht nur um die „Ritter der Landstraße“, die mit ihren hochgerüsteten 300PS-Schlachtrössern über die Autobahnen donnern. In den Zeiten der „Just-in-Time“-Lieferung, also der stundengenauen Lieferung von Material ist kein Platz mehr für Trucker- Romantik. Nicht nur auf den Autobahnen, sondern auch in den Verteilzentren ist immer mehr Arbeit als die KollegInnen schaffen können. So sieht es auch beim Göttinger Versanddienstleister Distribo aus. Diese Firma wurde im Jahr 2004 als Gemeinschaftsunternehmen von Zufall und der Göttinger Firma Sartorius (26% Anteil) gegründet – einziger Firmenzweck: die Produkte von Sartorius zu lagern und zu verschicken.


ZEHN JAHRE KEINE LOHNERHÖHUNG

Wohl war den KollegInnen, die vor knapp 10 Jahren gezwungenermaßen von Sartorius zur neugegründeten Firma wechselten, bei diesem Übergang nicht. Es wurde befürchtet, dass die Arbeitsbedingungen sich bei diesem Wechsel zu ihren Ungunsten verändern würden. Damals schon sagten viele: „Das macht Sartorius doch nicht einfach so – die wollen Geld sparen.“ Das hat sich leider bewahrheitet – Sartorius spart hier auf Kosten der KollegInnen, die bei Distribo beschäftigt sind. Zwar betrachtet sich die IG Metall als zuständig für den Betrieb, weil er ein Dienstleistungsbetrieb von Sartorius ist, aber das nützt den KollegInnen dort nichts. Der Betrieb ist nicht im Arbeitgeberverband und so spart sich das Unternehmen gleich mal den Tariflohn. Konkret heißt das: seit 10 Jahren gab es keine Lohnerhöhung, die KollegInnen können sich heute von ihrem Lohn ca. 15% weniger leisten als vor 10 Jahren. Die Einschnitte dürften sogar noch größer sein, da Mieten und Energiepreise ja gestiegen sind, ohne dass die KollegInnen da einen Einfluss drauf haben und das, was zum Leben übrig bleibt, ist dann noch weniger.


BETRIEBSRAT OHNE MACHT?

Mit Hilfe der IG Metall wurde nach der Ausgliederung ein Betriebsrat gegründet, der seine Rechte aber nicht so richtig durchsetzen kann. Viel zu selten gab es in der Vergangenheit Betriebsversammlungen. Und wenn es welche gab, dann kamen oft viel zu wenig KollegInnen – so kann man natürlich nicht demonstrieren, dass einem die eigenen Arbeitnehmerrechte nicht egal sind. Stattdessen traten auf den Betriebsversammlungen sogar Vertreter von Zufall auf, die gar nicht zum Unternehmen gehören und konnten dort reden. Die Geschäftsführung hat ihre ganz eigene Auffassung von Arbeitnehmerrechten und dann passiert es, dass wieder einmal Mehrarbeit fällig ist, und wenn mal ein Kollege beim Betriebsrat nachfragt, dann muss er feststellen, dass dort niemand etwas von den Überstunden weiß. Ein starker Betriebsrat und eine selbstbewusste Belegschaft würde sich so etwas nicht gefallen lassen – aber viele sind eben auch eingeschüchtert.


„VIELE KÖNNEN NICHT MEHR“

Immer mehr verlangt die Geschäftsführung von den Beschäftigten. Immer wieder werden von den KollegInnen Überstunden und Wochenendeinsätze verlangt. Die Interessen der KollegInnen zählen überhaupt nicht mehr. Das Verhältnis von Geschäftsführung zu denjenigen, die die Arbeit machen müssen, ist einfach: „Ich ordne an – ihr macht“, ist das Motto. Längst hätte neues Personal eingestellt werden müssen, weil die etwa 55 KollegInnen die Arbeit nicht schaffen. Stattdessen werden kurzfristig Leiharbeiter angeheuert, die dann nach ein paar Stunden Anlernzeit das Gleiche können sollen wie jemand, der schon seit Jahren dabei ist. Kein Wunder, dass dann doch eine Menge schief geht. Die KollegInnen bemühen sich nach Kräften trotz dieser Situation gute Arbeit abzuliefern, aber die Folgen der Geschäftsführung ohne Rücksicht auf die Beschäftigten sind fatal: immer mehr KollegInnen werden krank – „viele können einfach nicht mehr“, berichtet uns ein Kollege. Heute nennt man so etwas ja gerne „Burn out“, aber man kann auch sagen, sie haben sich krank geschuftet. Während die Einen krank werden, haben die Anderen die Schnauze voll und hauen ab. So kommt es zu einer hohen Fluktuation, unter der letztlich die Qualität leidet.


MUTTERFIRMA ZUFALL

Dieses Management nach Gutsherrenart scheint aber auch bei der Mutterfirma Zufall in Göttingen – wo das Distribo- Management herkommt – normal zu sein. Etwa 300 KollegInnen arbeiten für Zufall in Göttingen. Dabei sind übrigens kaum Fahrer, denn die arbeiten häufig als (Schein?-)Selbstständige auf ihrem eigenen Laster für Zufall. Die Zufall- Logistiker in Göttingen sehen sich ebenfalls einer selbstherrlichen Geschäftsführung gegenüber. Das geht so weit, dass selbstherrlich Kurzarbeit angeordnet wird oder KollegInnen entlassen werden – und das obwohl in anderen Bereichen Überstunden gekloppt werden müssen. Trotzdem blieb der Betriebsrat weitgehend untätig. Über 100 Zufall-KollegInnen haben gegen diese Amtsführung des Betriebsrates in einer Unterschriftensammlung protestiert und die Gewerkschaft ver.di hat sogar ein Verfahren zur Amtsenthebung der Arbeitnehmervertretung eingeleitet und in der ersten Instanz recht bekommen. Da juristische Mühlen immer langsam mahlen, ist es gut möglich, dass die reguläre Amtszeit im Frühjahr 2014 längst vorbei ist, wenn eine endgültige Entscheidung getroffen ist. Bis dahin hat der noch amtierende Betriebsrat ja die Möglichkeit, Versäumtes nachzuholen und die KollegInnen haben Gelegenheit, sich zu überlegen, von wem sie dann gegenüber der Geschäftsführung vertreten werden wollen.


NEUES LOGISTIKZENTRUM

Das alles hilft natürlich den KollegInnen bei Distribo nichts, die ja in einer „eigenständigen“ Firma arbeiten. Eigentlich könnten sie ja zufrieden sein, denn Anfang des Jahres haben Zufall und Sartorius bekannt gegeben, dass ein neues Logistikzentrum zwischen Göttingen und Rosdorf gebaut werden soll, das die bisher auf fünf Standorte im Industriegebiet verteilten Hallen an einem Ort zusammenbringen soll. Und der einzige Auftraggeber Sartorius scheint auf Wachstum programmiert zu sein.

Sartorius hat seinen operativen Gewinn im letzten Jahr um 20% gesteigert, Zufall hat 2011 den Gewinn um fast 25% erhöht – da muss es doch möglich sein, auch den KollegInnen, auf deren Arbeit dieser Erfolg beruht, einen fairen Anteil abzugeben.