Front? Ist denn Krieg? Nun, geschossen wird nicht. Aber der Sozialabbau speziell für die Menschen, die Arbeitslosengeld II (im Volksmund Hartz IV) beziehen, geht rasant weiter.

Dabei hatten viele nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Februar dieses Jahres gehofft, dass es mehr Geld und Verbesserungen für die Betroffenen geben würde.

Wir berichteten in unserer letzten Ausgabe ausführlich darüber.
Das Gericht hatte festgestellt, dass die Regelleistungen und einiges mehr nicht verfassungsgemäß wären. Zunächst hatten einige KlägerInnen es bis vor das höchste Gericht geschafft, weil klar geworden war, dass in den Berechnungen der Regelsätze nichts für Bildung und schulische Hilfen eingeplant worden war. Überhaupt war die gesamte Erfassung und Berechnung erst im Laufe des Verfahrens vom Gericht angezweifelt worden.
Allerdings sprach das BVG ein sehr merkwürdiges Urteil: erst stellte es fest, dass also etliches nicht verfassungsgemäß war. Um dann später im Urteil aber zu sagen, wenn das alles besser begründet und transparenter gemacht würde, dann wäre es eben vielleicht doch verfassungsgemäß. Kritiker sprachen von einem Eiertanz des höchsten deutschen Gerichtes und meinten, es könne sogar zu Kürzungen kommen. Was nun teilweise auch tatsächlich passiert.
Aber es passiert viel mehr. Auf mehreren Ebenen in verschiedenen Gesetzesvorhaben wird den Menschen, die ohnehin nicht genug Geld zum Leben haben, immer noch mehr gekürzt und gestrichen.

Sparplan, genannt Haushaltsbegleitgesetz

Das geht los mit einem sog. Haushaltsbegleitgesetz, welches Sparmaßnahmen umsetzen soll. Nicht nur im Sozialbereich, aber fast ausschließlich dort. Dieses Gesetz ist bereits beschlossen und hat deutliche Verschlechterungen im ALG II und im Wohngeldgesetz geschaffen:

  • Es gab bisher einen Zuschlag auf die Regelsätze im ALG II, wenn die Betroffenen vom ALG I ins ALG II überwechselten und vorher mehr Geld (mit z. B. ALG I und Wohngeld) zur Verfügung hatten. Sie bekamen dann im ersten Jahr zwei Drittel der Differenz (maximal 160 Euro monatlich) und im zweiten Jahr die Hälfte davon (maximal 80 Euro im Monat). Dieser Zuschlag fällt ersatzlos weg!
  • Für ALG-II-Beziehende wird von der Behörde/Kommune im Normalfall sowohl die Krankenversicherung übernommen als auch in die Rentenversicherung einbezahlt. Die Rentenbeitäge wurden schon in früheren Gesetzesänderungen gesenkt. Nun fallen sie ganz weg!
  • Das Elterngeld durfte bisher nicht als Einkommen mit dem ALG II verrechnet werden. Nun wird es in vollem Umfang abgezogen!
  • Nicht die ALG-II-Beziehenden betreffend, sondern die Wohngeldbeziehenden: es gab seit der letzten Wohngelderhöhung auch eine Berücksichtigung der Heizkosten. Damit erhöhte sich der ausbezahlte Wohngeldbetrag um ca. 24-26 Euro pro Haushalt. Ersatzlos gestrichen!

RegelbedarfsermittlungsgesetzRegelbedarf

Das Gesetz, welches die Leistung Arbeitslosengeld II regelt, ist ja eigentlich das Sozialgesetzbuch II (SGB II). Dieses (und teilweise auch das SGB XII, welches die Grundsicherung regelt = entweder, wenn jemand keine 3 Stunden am Tage mehr erwerbsfähig ist oder als Grundsicherung im Alter, ergänzend zur Altersrente) erfährt nun eine umfangreiche Gesetzesänderung, die im Wesentlichen durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil nötig wurde und bis zum 31.12. dieses Jahres erledigt sein soll. Sie wird aber nicht einfach Gesetzesänderung des SGB II und SGB XII genannt. Nein, sie heißt „Gesetzesentwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches“. Das alles gehört zum System des Kaschierens, Aufsplittens und Verwirrungstiftens auch durch Sprache, welches in der Politik immer mehr um sich greift. Längst sind die Erwerbslosen „Kunden“, die ArbeitsvermittlerInnen heißen „FallmanagerInnen“, aus dem Regelsatz wird der Regelbedarf und die Beziehenden heißen zukünftig Leistungsberechtigte usw. Ein Teil der Verschlechterungen wird im Haushaltsbegleitgesetz geregelt, ein anderer Teil in diesem Gesetz. Flankiert wird das Ganze noch durch geplante Gesetzesänderungen im Beratungskostenhilfegesetz und im Prozesskostenhilfegesetz, denn nach Meinung von Politik und Verwaltungen wehren sich allzu viele Menschen gegen Ungerechtigkeiten, Fehler und Willkür im Sozialleistungsbereich z. B. vor den Sozialgerichten. Davon später noch mehr.
Der Anlass für diesen Gesetzentwurf war, wie oben geschildert, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Allerdings ergriffen die GesetzesmacherInnen die Chance, gleich noch etliche andere Dinge zu „klären“, die in der Vergangenheit für Schwierigkeiten sorgten. Wir können aus Platzgründen nicht auf jede einzelne Änderung eingehen und nehmen uns auch hier nur die wichtigsten vor.

Wie (er)finde ich einen Regelsatz?

ALG-II-Beziehende bekommen derzeit (alleinstehend) 359 Euro oder 323 Euro (Paare) für das ganze Leben außer der Miete, den Neben- und Heizkosten. Kinder bzw. Jugendliche bekommen weniger (60, 70 oder 80 Prozent von den 359 Euro, je nach Alter). Wie kam der Gesetzgeber auf diese Summen?
Alle 5 Jahre wird eine Erhebung in 60.000 bis 75.000 Haushalten über 3 Monate durchgeführt. Diese Haushalte kaufen ein, zahlen Miete und andere feste Kosten, lassen reparieren usw. und führen genau Buch darüber, für was sie ihr Geld ausgeben. Daraus wird dann errechnet, was durchschnittlich für welche Produkte und Dienstleistungen anzusetzen ist. Wer schon mal mit Statistiken und Erhebungen zu tun hatte, weiß, wie zweifelhaft das sein kann. So auch hier. Vor dem BVG kam heraus, dass vor allem Haushalte mit geringem Einkommen und ältere Menschen (Rentnerehepaare) erfasst wurden. Deshalb war wahrscheinlich auch nichts für Schule und Bildung enthalten. Diese Erhebung nennt sich EVS (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe).
Nun war eigentlich eine Auflage des Gerichtes, bei einer neueren Erhebung anders vorzugehen. Das Gericht ließ auch offen, ob es diese Form der Erhebung sein muss (EVS) oder andere. Und es machte einige Vorgaben. So sollten z. B. keine Haushalte von Erwerbslosen aus dem ALG-II-Bereich erfasst werden. Durchgeführt wurde dann doch wieder eine EVS (2008). Wie jetzt nachträglich und auch nur widerwillig zugegeben herauskam, sind bei der jetzigen Erhebung sogar noch mehr Haushalte mit geringem bis geringstem Einkommen erfasst worden, nämlich sogar Erwerbslose aus dem ALG-I-Bereich! In der eigentlichen Referenzgruppe, die für die Durchschnittsermittlung genommen wird, sind 20 Prozent Erwerbslose und 38 Prozent Rentner. Es ist klar, je weniger besser oder wenigstens gut verdienende Haushalte in eine solche Auswertung einfließen, desto geringer wird der Durchschnitt. Aber damit nicht genug. Es wurden auch noch willkürlich Abstriche gemacht, weil nicht einzusehen sei, dass Alkohol und Tabakwaren in einer staatlichen Sozialleistung mitbezahlt werden sollen. Ca. 19 Euro im Monat werden nun allen abgezogen. Ganz egal, ob jemand raucht oder Alkohol trinkt. Wie absurd bis gestört solche Gesetzes(er)finder vorgehen, zeigt hier das Beispiel, dass für den evtl. entstehenden Flüssigkeitsverlust dann 2,99 im Monat für Mineralwasser wieder einberechnet wurden.
Wer nun außer der Kritik an dem Ansatz und der Durchführung auch die Summen für einzelne Posten mal auf den Tagesbedarf herunterrechnet, traut wahrscheinlich seinen Augen nicht mehr. Leider haben wir nicht genug Platz, das ausführlicher zu behandeln. Einige Menschen haben sich diese Mühe gemacht und wir haben einige Beispiele in der Tabelle auf Seite 5 aufgeführt.
Durch diese Rechnerei hat sich nun ergeben, dass zwar die Erwachsenen-Regelsätze ab dem 1. Januar 2011 um 5 Euro auf 364 Euro erhöht werden, aber bei den Regelsätzen für Kinder und Jugendliche wurden sogar Kürzungen errechnet! Kulanterweise verzichtet man darauf und zahlt die bisherigen Summen weiterhin aus. Aber es wird für diese nicht mal um die 5 Euro erhöht.
Das war es irgendwie nicht, was das BVG meinte. Nicht mal in dem eirigen Urteil, was dieses hervorbrachte. Jedenfalls hoffen wir das. Nun wird an dieser Stelle seitens der Regierung bzw. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Frau von der Leyen) darauf verwiesen, dass es für den Bildungsbereich ja eine neu einzuführenden Gutschein gebe, die Bildungsgutscheinkarte (weil in Chipkartenform geplant).

Bildung von der Chipkarte

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass für die Kinder von Hartz-IV-Empfängern mehr getan werden muss - sie müssen die Möglichkeit haben, eine Musikschule zu besuchen, in einen Sportverein zu gehen oder Nachhilfeunterricht zu bekommen, damit sie gegenüber Kindern, deren Eltern besser gestellt sind, nicht benachteiligt werden.
Die Bundesregierung will das in 4 Bereichen erreichen:
Durch ein Schulbasispaket, Lernförderung, warmes Mittagessen in Kitas und Schulen und durch Hilfe bei der außerschulischen Bildung.
Das Schulbasispaket enthält eine Förderung von 100 Euro (es existiert schon jetzt als Einmalleistung), die für alle in 2 Jahresraten an die Eltern ausbezahlt werden. Alles andere soll weitgehend auf eine Chipkarte geladen werden können und mit Anbietern verrechnet werden können (Sport- und Musikvereinen, Essensanbietern, Nachhilfeanbieter etc.). Die Eltern sollen das Geld nicht in die Hände bekommen. Das unterstellt allen oder zumindest den meisten Eltern im Bezug von ALG II, dass sie das Geld nicht für ihre Kinder ausgeben würden, sondern für sich selbst verbrauchen. So wurde es dann auch gleich überall diskutiert. Neben dem Abzug für alle für Alkohol und Tabakwaren schon der zweite Bereich, in dem deutlich wird, welche Meinung die Gesetzesmacher von den „Leistungsberechtigten“ haben.
Neben dieser Kritik sind andere Probleme mit der Chipkarte in der Diskussion (nur in der Chipkartenherstellerbranche nicht, die würden sich freuen): es kann in jeder Kommune, jedem Landkreis etwas anderes gefördert und Beträge in verschiedener Höhe aufgeladen werden (je nach Haushaltslage der Kommune und das meinte das BVG wohl eher nicht); die Nutzung ist freiwillig und wird von vielen aus unterschiedlichen Gründen evtl. gar nicht wahrgenommen.
Der Ansatz der Förderung durch warmes Essen, Nutzung von Bildungsangeboten etc. ist schon richtig, wird aber wieder durch die sattsam bekannte Mischung aus Unfähigkeit, Ideologie und des Blickes auf die Kosten und nicht die Menschen verschenkt.
Allerdings gibt es auch Widerstand seitens der Bundesvereinigung der Städte und Landkreise. Nur auch aus dieser Ecke nicht der Entmündigung wegen, sondern noch mehr aus der Kostensicht.

Weitere Verschärfungen

Bei der Anrechnung von Einkommen gibt es einige deutliche Verschlechterungen:

  • So werden nun Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten, die bisher nicht als Einkommen gewertet wurden, voll angerechnet (nur 30 Euro Freibetrag für Nichterwerbseinkommen werden wohl wie bisher dagegen gerechnet).
  • Bezahlungen für Tagesmütter und pflegende Personen sind nun ebenfalls Einkommen.
  • In Notsituationen können zinslose Darlehen von der Behörde bewilligt werden. Bisher war das allgemeine geschonte Vermögen (Mindestbetrag 3.850 Euro für Erwachsene oder 150 Euro pro Lebensjahr) dann weiterhin geschont. Nun muss es erst aufgebraucht werden. Ist keines da und ein Darlehen wird gewährt, kann aber auch nach 6 Monaten noch nicht zurückgezahlt werden, wird es als Einkommen gewertet und ab dem 7. Monat verrechnet.
  • Eine ganz gefährliche Sache: in Zukunft sollen die einzelnen Kommunen (Städte/Landkreise) beim Bundesland beantragen können bzw. vom Bundesland dazu verpflichtet werden, eine eigene Satzung für die Kosten der Unterkunft zu erstellen. In dieser Satzung kann dann jede Kommune alles ummodeln. Die angemessenen Zahlen sowohl für die Quadratmeter wie auch für die Miet- und Nebenkostenhöhe und sogar die Pauschalierung der Heizkosten soll wieder möglich sein. Gegen viele dieser Vorgehensweisen gibt es rechtskräftige Bundessozialgerichtsurteile. Das soll so unterlaufen werden.
  • Mehrbedarfe für besondere Lebenssituationen (für werdende Mütter, Alleinerziehende, Krankenkost, behinderte erwerbsfähige Menschen) sollen nicht mehr automatisch von der Behörde errechnet werden, sondern müssen gesondert beantragt werden. Das kann nur die oder der machen, die es wissen.
  • Wer mit Entscheidungen und Bescheiden der Behörde nicht einverstanden ist, legt innerhalb von 30 Tagen einen Widerspruch ein. Wer diese Frist versäumt oder erst später feststellt, dass etwas nicht stimmt, kann einen Überprüfungsantrag an die Behörde stellen, der bisher bis zu 4 Jahren rückwirkend zu Änderungen und also auch Nachzahlungen führen kann. Diese Frist soll auf 1 Jahr verkürzt werden.

Flankiert wird all das von ebenfalls geplanten Änderungen im Beratungskostenhilfe- und Prozesskostenhilfegesetz, die gerade entworfen werden. Dort werden wahrscheinlich hohe Eigenbeteiligungen angesetzt, um die Anzahl der Menschen, die sich auch vor Gericht wehren bzw. erst mal einen Anwalt leisten können (bisher durch die Beratungskostenhilfe für 10 Euro einmalig möglich), deutlich zu verkleinern.
Frau von der Leyen wird nicht müde, zu beteuern, das oben beschriebene sei fair, transparent und zukunftsorientiert für alle Betroffenen. Für eine Zukunft in Armut und Drangsalierung, ja. In der Diskussion und der Gesetzesbegründung wird sogar von einem menschenwürdigen Dasein gesprochen, welches hierdurch ermöglicht würde. Was soll man dazu noch sagen.
Der Bundestag hat diese Gesetzesänderungen bereits beschlossen. Sie sind aber auch durch den Bundesrat zu beschließen oder können dort geändert werden. Wir sind sehr gespannt, was passieren wird.

Bürgerarbeit

Gerade hat der Bundesrechnungshof zum wiederholten Male festgestellt, dass die sog. 1-Euro-Jobs die Menschen fast nie in Arbeitsverhältnisse bringen und sogar reguläre Arbeitsplätze vernichten. Das schreiben wir hier im GBE und auch viele andere Nicht-Mainstream-Medien, seit es diese Arbeitsverhältnisse gibt. Die Bundesagentur für Arbeit hat nun auch reagiert und will dieses Instrument wohl auslaufen lassen. Man kann gespannt sein, was dafür kommen wird. Von einem Vorhaben wissen wir schon, der sog. Bürgerarbeit.
Was ist das? Ein Projekt der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, welches sie im Juli dieses Jahres vorstellte. Es soll der beruflichen Eingliederung Langzeitarbeitsloser dienen. Aber nicht in den ersten Arbeitsmarkt und wohl auch nicht in den zweiten. Die Rede ist von Anfang an von gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeitsplätzen (wie bei den 1-Euro-Jobs auch). Angedacht sind Straßenfegen und Parkreinigung, Arbeit in Museen, Altenheimen, Bibliotheken, Kinderbetreuung, Jugendprojekten, Tafeln etc.

900 Euro brutto, nicht netto!

Allerdings ist das Projekt von vornherein auf etwa die Hälfte aller Job-Center Deutschlands (197) beschränkt und nur 160.000 Langzeitarbeitslose kommen in die Auswahl. Davon sollen dann nach einem halben Jahr die 34.000 „Glücklichen“ ausgewählt worden seien, die dann eine dieser Stellen bekommen. Bis zu 3 Jahren ist die Förderung möglich. Bezahlt werden für 30 Stunden Arbeit 900 Euro. Selbstverständlich redete Frau von der Leyen nicht von brutto oder netto, sondern von Anfang an von Festbeträgen. Es ist aber inzwischen klar: 900 Euro brutto sind gemeint. Das wird im Durchschnitt einen Nettoverdienst von 720 Euro monatlich bedeuten.
Je nach Ort und Wohnsituation, Krankenkasse usw. kann das höchstens das Gleiche sein wie im ALG-II-Bezug, aber es kann durchaus auch weniger sein. Eine Vollzeitstelle ohne große Aussicht auf spätere Übernahme; wahrscheinlich wieder mit einer Arbeit, die andere versicherungspflichtige Arbeit verhindert oder zerstört; und dann evtl. sogar noch Wohngeld oder ergänzendes ALG II beantragen zu müssen? Ein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld I entsteht auch nicht dabei. Und das Ganze nur für 160.000 Personen bundesweit, bzw. nur für 34.000? Geht man wirklich davon aus, die anderen 126.000 in der halbjährigen sog. „Aktivierungsphase“ in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt zu vermitteln??
Dieses Konzept taugt genau so wenig wie fast alles andere, was diese und frühere Regierungen sich ausgedacht haben. Es stieß aber bei etlichen Erwerbslosen auf Interesse. So lange zumindest, bis klar wurde, das es hierbei nicht um 900 Euro netto ging. Wir haben derzeit rund 930.000 Langzeitarbeitslose. Dass dieses Modell ausgeweitet wird, ist eigentlich nicht zu erwarten. Zumal es Bundes- und Europamittel dafür gibt, die aber nun vergeben sind.
Und da es diese Gelder gibt und man sich ja mit solchen Maßnahmen immer gut postieren kann und sagen: „Seht nur, was wir alles für die Betroffenen tun!“, hat sich auch Göttingen beworben und darf mitmachen.
Nach Angaben von Kreisrätin Christel Wemheuer geht es im Landkreis Göttingen um rund 12,5 Millionen Euro in drei Jahren. 200 Stellen für begleitende Bürgerarbeit würden ab Januar 2011 eingerichtet. Es gehe beispielsweise um Serviceangebote an Schulen, Arbeiten in Sportstätten, Museen, Bibliotheken oder Verschönerungsarbeiten im touristischen Bereich. In einem Lenkungsausschuss sind unter anderem auch DGB und Handelskammer beteiligt. Das Projekt wird von der Kreisvolkshochschule in Kooperation mit der städtischen Beschäftigungsförderungsanstalt durchgeführt.

Keine Sanktionen?!

Auf einer Infoveranstaltung des Job-Centers Göttingen am 9.11.2010 mit rund 200 eingeladenen Langzeitarbeitslosen kehrte auch recht bald Ernüchterung ein und es gab deutliche Kritik an diesem Konzept. Immerhin versicherte auf Nachfrage ein Vertreter des Job-Centers, dass es keine Sanktionen geben soll, wenn jemand ein Angebot der Bürgerarbeit ablehnen würde.
Das können wir nur hoffen.
Es gibt allerdings auch andere Erfahrungsberichte. Z. B. aus Süddeutschland (Ingolstadt), wo schon vor einiger Zeit eine solche Veranstaltung beschrieben wird. Zunächst hatten dort 2 Beschäftigte eines Bildungsträgers (der damit sicher besser verdient) rund 1,5 Stunden nichts Besseres zu tun, als die Anwesenden als faul und meistens vor dem Fernseher herumliegend zu beschimpfen. Anschließend wurde wüst herumgedroht, dass in dem halben Jahr Aktivierungsphase alle sich nun bewerben müssten auf Teufel komm raus. Auf welche der nicht vorhandenen Arbeitsplätze, das sagten sie nicht. Ihre Unterstützung dabei ist (zum wievielten Male für viele der Betroffenen wohl?) Bewerbungstraining u. ä. Aus dem Ministerium heißt es, dieses halbe Jahr soll der Profilerstellung, der Hilfe und ja, tatsächlich, der Vermittlung in den Arbeitsmarkt dienen. Dabei soll den Auserwählten auch ein neuer „Coach“ seitens des Job-Centers helfen. Der wurde in Ingolstadt sodann vorgestellt und entpuppte sich als exakt der bisherige Fallmanager der Anwesenden. Hier gab es übrigens eine Rechtsfolgenbelehrung für die Betroffenen. Also mögliche Sanktionen.
Nein, auch das wird nicht viel ändern. Dennoch sind einige Erwerbslose interessiert daran. Mehr mit der Begründung, mir fällt sonst zu Hause die Decke auf den Kopf; so komme ich unter Menschen, habe was zu tun. Nun ja, das mag für sie zutreffen, aber das würden sie sicher auch lieber für einen anständigen Lohn und eine echte Arbeitsstelle machen. Insgesamt unterstützen solche Maßnahmen die Verfestigung von Niedriglöhnen nur noch.