Seit dem 1. Januar 2005, als das Arbeitslosengeld II (im Volksmunde Hartz IV genannt), die beiden Leistungen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe in sich vereinigte, gibt es Probleme damit, Widersprüche und Klagen zuhauf.

Einige KlägerInnen hatten es nun im letzten Jahre bis vor das Bundesverfassungsgericht geschafft.

Ihre Klagen betrafen im Wesentlichen die Höhe der monatlichen Regelleistungssätze für Kinder und Jugendliche. Der Regelleistungssatz für Erwachsene beträgt momentan 359,00 Euro für alleinstehende Erwachsene, jeweils 323,00 Euro pro Kopf für Eheleute und Paare. Von diesem Regelleistungssatz ist das ganze Leben außer allen Kosten der Unterkunft zu bestreiten, die extra berechnet und ausbezahlt werden.
Für Kinder liegt nun dieser Satz niedriger, nach Lebensjahren gestaffelt. So bekommen Kinder bis zum vollendeten 6ten Lebensjahr nur 60 Prozent des Regelsatzes (215,00 Euro), bis zum 14ten Lebensjahr 70 Prozent (251,00 Euro), bis zum 25ten Lebensjahr 80 Prozent (287,00 Euro).
In letzter Zeit wurde der Protest gegen diese Staffelung immer lauter, denn Kinder und Jugendliche haben eigentlich ja einen mindestens genau so hohen Bedarf wie Erwachsene. Sie wachsen immer wieder aus ihrer Kleidung und ihren Schuhen heraus, sie essen nicht weniger als Erwachsene usw. Und vor allem wurde mehr und mehr klar, dass beim Erheben und Errechnen dieses Regelleistungssatzes überhaupt nichts für Bildung eingesetzt worden war!
Auch deshalb schafften es also etliche KlägerInnen bis vor das Bundesverfassungsgericht.
Dort gab dann der für die Bundesregierung auftretende Jurist, der begründen sollte, warum das alles so in Ordnung sei und dass die Erhebung ebenfalls richtig sei, so ein klägliches Bild ab, dass das Gericht entschied, auch die Regelsätze für Erwachsene mit zu überprüfen. Ebenfalls nahm es eine Überprüfung der Erhebungsmethoden sowie der Bindung einer Erhöhung der Regelleistungssätze an die Rentenentwicklung vor. Das wurde bis ins letzte Jahr so gehandhabt: erhöhen sich die Renten, erhöht sich auch der Regelleistungssatz; bleiben die Renten gleich oder sinken sie, verändert er sich nicht. Und es wollte sich mit dauernden besonderen Belastungen im Sinne sozialer Härten befassen.
Das geschah im Oktober 2009 und bis zum 9. Februar 2010 brauchte das Gericht dann.

Verfassungswidrig, aber……

An diesem Tage fällte es ein Urteil, das einige sogleich bejubelten, aber die meisten (vor allem, nachdem sie die engbedruckten 39 Urteilseiten im Juristendeutsch gelesen hatten) eher ratlos zurückließ. Was hatte das Gericht entschieden?
Es hat (wir verdeutschen es der Klarheit halber) gesagt: ja, die Regelsätze sind verfassungswidrig, auch die Erhebung ist es eigentlich, aber wenn ihr, liebe Regierung und alle, die das Gesetz schufen und ausüben, alles besser begründet bzw. kommuniziert, dann ist es doch wieder verfassungsgemäß!
Ja, was nun? Der gesunde Menschenverstand sagt sich doch, entweder ist etwas verfassungswidrig (und das ist ja nun mal kein Kavaliers- oder Kleindelikt wie falsches Parken) oder nicht! Unsere Einschätzung, mit der wir nicht alleine dastehen, ist daher: ein windelweiches Urteil, das den GesetzeserfinderInnen und der jetzigen Bundesregierung nicht wirklich wehtun will, aber den Protest auffangen und kanalisieren will, damit wieder Ruhe eintritt.
Wie auslegungsfähig dieses Urteil ist, sehen wir u. a. darin, dass kurz nach der Urteilsverkündung erste Stimmen aus dem Unternehmenslager und von Mitte bis Rechts laut wurden, die sich sogar Kürzungen der Regelleistungssätze vorstellen können bzw. wollen. Nur halt gut begründet, wie es das Gericht will.
Auch wenn das nicht passieren wird, so wird es wohl kaum um eine generelle Erhöhung der einzelnen Stufen und der Sätze gehen, sondern es wird evtl. Beruhigungszückerli in Form von Sachleistungen geben. So sprach die Bundessozialministerin Ursula von der Leyen bald von Schulspeisungen, von der Anschaffung der Schulranzen durch die Behörden usw. Nichts dagegen, aber Sinn macht das nur, wenn das wirklich zusätzlich geschieht und das ganze Regelsatzwerk deutlich erhöht wird. Auch die Summen für Erwachsene.
In allen Punkten, in denen es Änderungen bzw. bessere Begründungen möchte, hat das BVerfG der Regierung und den verantwortlichen Behörden eine Frist bis zum 31.12. dieses Jahres gesetzt. Es hat auch geklärt, dass es rückwirkend keine Forderungen zulässt. Bis zur Urteilsfindung hatten viele dazu aufgerufen, einen Überprüfungsantrag (SGB X, Paragraph 44) zu stellen, der bei falschem Behördenhandeln oder eben solchen Änderungen bis zu 4 Jahren rückwirkend zu Nachforderungen berechtigt. Sonst hat mensch ja nur 30 Tage Zeit für einen Widerspruch gegen den gerade aktuellen Bescheid oder andere Entscheidungen.

…wenn besser begründet,….

Was hat es noch entschieden:

  • a) Die Bindung an die Rentenerhöhung gilt nicht mehr. An was eine mögliche Erhöhung nun angebunden wird, muss sich die Regierung neu ausdenken. Das Gericht empfiehlt eine Bindung an die Preisentwicklung.
  • b) Die Erhebung der Regelleistungssätze ist zwar nicht evident verfassungswidrig (Originalton BVerfG), soll aber auch besser und verständlicher dargestellt werden. Es hatte sich herausgestellt, dass die Berechnung aufgrund von Erfassung vor allem der Haushalte im unteren Einkommensbereich bei Alleinstehenden und Familien vorgenommen wurde, wobei ein großer Teil Rentnerhaushalte waren (keine Kinder, keine Bildungskosten usw.). Das hatte zwar immer noch mehr ergeben, als jetzt ausbezahlt wird, so dass dann einfach willkürliche Abstriche gemacht wurden.
  • c) Im Bereich atypischer dauernder Belastungen (besondere Belastungen im Sinne sozialer Härten) allerdings soll etwas getan werden. Wer nun glaubt, dass es in Zukunft vielleicht doch wieder Hilfen bei der Brillenbeschaffung oder beim Zahnersatz gibt, wird sich wohl leider getäuscht sehen. Das würde nämlich eine Menge Geld kosten und solche Maßnahmen werden dann lieber gelassen. Was genau die zu erstellende Liste bzw. der Maßnahmenkatalog (so nennt ihn die Bundessozialministerin) umfassen wird, wollte sie gleich nach Ostern veröffentlichen und nicht bis zum Jahresende warten. Das ist löblich, aber bis zu unserem Redaktionsschluss hatte sie es denn doch noch nicht geschafft.

…dann doch nicht verfassungswidrig!?

Das Fazit kann nur Ernüchterung sein. Es ist wirklich denkbar, dass unter dem Strich für alle weniger dabei herauskommt als vorher. Im Laufe des Jahres wird es sich weisen und wir werden berichten. Nach der Ankündigung des Bundeswirtschaftsministeriums, die Schuldenbremse zu ziehen (wir wollen nicht wie die Griechen sein), können wir uns wohl noch auf einiges gefasst machen.
Einige Ansätze deuten schon in diese Richtung. So hat das Bundessozialgericht am 23.3.2010 ein Urteil gefällt, in dem es sagt, dass es keine zusätzlichen Zahlungen zu den Regelleistungssätzen speziell für Kinderkleidung geben muss. Das scheint uns schon eine klare Reaktion auf das BVerfG-Urteil zu sein und ist eine neuerliche Enttäuschung für Eltern im Bezug von ALG II.

Was ist noch passiert?

Es hat vor der Wahl von der jetzigen Bundesregierung mehrere Versprechen auch in Richtung ALG II gegeben. Eine ist vor wenigen Wochen wahrgemacht worden. Das unter b) beschriebene fest angelegte Vermögen wurde von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr erhöht.
Es gibt ja für alle, die die Leistung ALG II beziehen, zwei verschiedene Arten von Vermögen, die bis zu einer gewissen Höhe im Sinne einer Altersvorsorge geschont sind.

  • das allgemeine geschonte Vermögen: das beinhaltet vom Bargeld in der Tasche bzw. im Portemonnaie über das Girokonto bis hin zum Sparkonto, evtl. Wertpapierdepots, Briefmarkensammlungen, Pelzmäntel, Luxusartikel, Bausparverträge; eben alles, was nicht langfristig angelegt ist. Ursprünglich waren hier 200 Euro pro Lebensjahr angesetzt, die mit einer der ersten Gesetzesänderungen auf 150 Euro pro Lebensjahr abgesenkt wurden. Für jüngere Menschen im Bezug gibt es einen Mindestbetrag von 3.100 Euro für alle (also auch für Kleinkinder, dann muss allerdings ein Konto auf deren Namen eröffnet werden). Für Erwachsene kommt dazu noch mal ein Betrag von 750 Euro für zum Beispiel evtl. Wiederanschaffungen (Waschmaschine, Kühlschrank, Möbel etc.). Interessant dabei ist, dass am 1.1.2005 noch 4.100 Euro plus 750 Euro im Gesetz standen. Immer dasselbe Spiel: durch nachträgliche Gesetzesänderungen wurden die Summen, die eindeutig die meisten Beziehenden betreffen, nach unten korrigiert.
  • das fest angelegte geschonte Vermögen: hierzu zählen Lebensversicherungen u. ä., die allerdings bis zur Erreichung des gesetzlichen Rentenalters festgelegt sein müssen. Dieses muss auch möglichst wörtlich so in der Versicherungspolice stehen. Diese geschonte Vermögensart betrug am Anfang auch 200 Euro, wurde dann auf 250 Euro erhöht. Und nun sogar auf 750 Euro pro Lebensjahr.

Eben dieses hatten FDP und CDU/CSU versprochen. Nun, wir sind nicht dagegen. Die Beträge, um die es bei beiden Arten von Schonvermögen geht, sind im Hinblick auf die Bestimmung als Alterssicherung ohnehin kaum der Rede wert.

ARGEn, Job-Center, Optionskommunen

Dann wäre noch zu berichten, dass die Neuorganisation der ARGEn und der Job-Center langsam voran kommt. Wir erinnern uns, die meisten Kommunen und Landkreise haben 2005 neue Behörden geschaffen, die sich ARGEn (Arbeitsgemeinschaften, z. B. die Sozialagentur in Northeim) nannten und aus der Agentur für Arbeit und den kommunalen Behörden zusammengesetzt wurden. Im Gegensatz dazu haben 69 Kommunen und Landkreise in einem Feldversuch, der 2010 enden sollte, nur aus den eigenen Kräften eine neue Behörde geschaffen. Diese nennen sich dann oft Job-Center, diese Kommunen sind sog. Optionskommunen. Stadt und Landkreis (federführend dabei) Göttingen und auch Osterode sind solche Optionskommunen. Weil sie diese Wahl der Eigenständigkeit ergriffen haben. Hintergrund war, zu schauen, wer sich denn besser um die Erwerbslosen kümmern könne und sie schneller in Arbeit bringen würde. Da eines der Hauptprobleme der Arbeitslosigkeit aber das Fehlen von Arbeit, vor allem in Form von sozialversicherungspflichtigen unbefristeten Vollzeitstellen ist, war von vornherein klar, dass niemand besser darin sein kann, nicht vorhandene Arbeit besser zu verteilen. So ist es denn auch gekommen.
Nichtsdestotrotz hat sich noch herausgestellt, dass die jetzige Form der ARGEn nicht verfassungskonform ist. Wir ersparen uns hier die Einzelheiten, es sind eher formale Dinge. Auf jeden Fall hat die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt, die gerade in den letzten Tagen ihre ersten Ergebnisse vorstellte und es möglich machen will, dass die ARGEn fortbestehen können. Zu den Optionskommunen gibt es bereits einen Regierungsbeschluss, dass diese bis auf Weiteres genau so fortexistieren können und evtl. sogar noch einige dazu kommen können. Um die Verwirrung weiter zu vergrößern, redet die Bundessozialministerin davon, dass die Zusammenarbeit zukünftig nicht in ARGEn, sondern in Job-Centern fortgeführt werde. So heißen denn ja aber eigentlich die Behörden der Optionskommunen. Nun, wir werden sehen.
Dann wäre da noch der Bundesvorstand der Agentur für Arbeit, aus dessen Reihen der Vorschlag kommt, die Kosten für die Unterkunft, den zweiten Betrag der Leistung ALG II, zu pauschalieren und nicht, wie bisher, entweder nach Mietspiegel (so vorhanden) oder am Wohngeldgesetz ausgerichtet oder nach Erhebungen und Gutachten ausgeguckt, zu berechnen und zu bezahlen. Ein sehr gefährlicher Vorschlag, denn wir dürfen kaum erwarten, dass diese Pauschalen so großzügig ausfallen, dass allgemeine Zufriedenheit ausbricht. Ganz im Gegenteil. Was heute schon passiert, dass eine ganze Reihe von Leistungsbeziehenden Monat für Monat etliche Euro aus ihrem (sowieso nicht ausreichendem) Regelsatz zu den höheren Kosten für ihre Unterkunft zubuttern, um ihre Wohnung halten zu können, die eben nach den bestehenden Regeln nicht ganz angemessen in der Miethöhe ist, das würde dann wahrscheinlich noch viel mehr Menschen betreffen und evtl. sogar noch mit höheren monatlichen Beträgen.
Die Zahl der Widersprüche geht kaum zurück, die Sozialgerichte sind nach wie vor überlastet und auf lange Sicht gut beschäftigt. Bei all dem, was oben geschildert wurde, ist kaum abzusehen, dass sich daran etwas ändert. Deutliche Erhöhungen der Regelleistungen sind das Mindeste, besser noch ein Einstampfen dieser Machwerke (Sozialgesetzbücher II und XII) und ein bedingungsloses und ausreichendes Grundeinkommen neben sinnvollen und voll bezahlten und unbefristeten Arbeitsplätzen. Von denen dann genug geschaffen werden müssten, was bei anderer Prioritätensetzung durchaus geht.