Stehen Taxifahrer vor Goldenen Zeiten?

Das GT brachte es als Aufmacher: Zum ersten Dezember sollen die Preise der Göttinger Taxen um 61% steigen! Die HNA rechnete am konkreten Beispiel und kam da „nur“ auf knapp 40%, aber wie auch immer: Zu Beginn des Weihnachtsgeschäftes müssen die Kunden deutlich tiefer in die Tasche greifen. Begründet wird dies mit der Einführung des Mindestlohnes von € 8,50 ab Januar.

Die Mehrerlöse aus der Erhöhung sollen komplett dafür verwendet werden. Als unbeteiligter Beobachter kam mir als erstes ein erschreckender Gedanke in den Sinn: Steigen die Preise um eine derartige Spanne allein für Löhne, sich diese grob gepeilt verdoppeln müssen, um den Mindeststandard für menschenwürdige Entlohnung außerhalb des Maßregelvollzuges zu erfüllen, wie wenig verdienen sie jetzt? Für 12 Stunden-Schichten im Göttinger Stadtverkehr unfallfrei, freundlich zu den Kunden und hilfsbereit? Selbst wenn man großzügig (und meist gelogen) einen Euro Trinkgeld pro Stunde dazu addiert, muss es erschreckend wenig sein. Verweilen wir noch kurz, um in Gedanken den Hut vor dem sozialen Engagement derjenigen zu ziehen, die in Geizist- Geil-Manier die Taxen nach Sonderpreisen und Verbilligungen (auf Kosten eben dieser Fahrer) abklappern und gucken nach den Ursachen.


Fragt man einen Fahrer, ist die Antwort klar: Es gibt zu viele Taxen! Kunststück: Ein Unternehmer, dessen Hauptkosten (Lohn, Sprit) vom Umsatz abhängen, schickt raus, was geht, um ein möglichst großes Stück Kuchen abzubekommen. Gegenbewegungen auf der Fahrerseite? Fehlanzeige, man ist ja in Konkurrenz zueinander. Und dank der niedrigen Löhne gezwungen, viel zu fahren: Wochenarbeitszeiten über 60 Stunden sind da keine Seltenheit. Sieht man also einen Fahrer am Halteplatz im Auto schlafen, kann es also Entspannung oder Erschöpfung sein...

Fragt man einen Unternehmer, ist die Antwort klar: Schwarzfahrten, persönliches Ungeschick oder ist mir egal. Gegen die Schwarzfahrten, also Fahrten ohne Taxameter, werden die Wagen technisch aufgerüstet: Sitzkontakte, bereits jetzt weit verbreitet, sorgen bald in allen Wagen mit Dachschild dafür, dass der Fahrer „die Glocke“ nicht vergisst.

Fragt man einen Fahrgast, so ist dieser für den Luxus dankbar, selten länger als 5 Minuten auf einen Wagen warten zu müssen. Dann dürfen es auch gerne etwas mehr Taxen sein, die an den Halteplätzen auf Kundschaft warten.


Was noch gerne erwähnt wird: Als Ausgleich zu langen Arbeitszeiten und miesen Löhnen bietet das Taxifahren eine ansonsten in der Berufswelt eher seltene Freiheit: Eigenständiges Bestimmen der Arbeitszeiten und Pausen. Will man nicht, macht man nicht. Eine fragliche und sehr eingeschränkte Freiheit, ist man doch gezwungen, genug Fahrten zu absolvieren, um finanziell über die Runden zu kommen. Wer Zeitungsabos an Haustüren vermittelt, hat ähnliche Freiheiten.


Jetzt kommt nun der Mindestlohn. Vermutlich wird nach dem Preisschock erst einmal die Nachfrage sinken, da andere Angebote (Fahrrad, Stadtbus, Mutti) attraktiver werden. Und grundsätzlich wird sich am Kernproblem: „So viele Autos auf die Straße wie möglich“ wenig ändern, wenn es bei der reinen Umsatzbeteiligung bleibt. Es bleiben zwei Wege möglich: Eine Absprache der vielen Unternehmen über die gesamte Schichtbesetzung mit Einführung eines Stundenlohnes, was kaum vorstellbar erscheint, oder eine elektronische Überwachung der Fahrer, die die Netto-Arbeitszeit so bestimmt, dass der Mindestlohn errechnet werden kann.


Das würde bedeuten, dass sich die Fahrerlöhne über die gesamte Arbeitszeit nicht auf das erforderliche Niveau heben lassen können, da Wartezeiten nicht adäquat vergütet werden. Aber dies ist reine Spekulation.

Ein Blick zur selbst verwalteten Konkurrenz puk minicar sei gestattet: Auch hier werden die Preise steigen. Da allerdings dort versucht wird, die Schichtbesetzung der vermuteten Nachfrage anzupassen, ist schon eher damit zu rechnen, die gesetzliche Norm der 8,50 Euro zu erfüllen. Hier ist eher zu vermuten, dass die Wartezeiten nicht mit denen der Taxen mithalten können und nicht jede Vorbestellung angenommen werden wird.


Eine grundlegende Verbesserung der Arbeitsbedingungen im gesamten gewerblichen Personengewerbe, also bessere Entlohnung und dadurch sinkende Wochenarbeitszeiten, ist bitter nötig! Viele Göttinger nähmen vermutlich dafür auch höhere Preise und geringfügig längere Wartezeiten in Kauf, fair-trade vor Ort also!