Zunächst glaubten viele an einen April­scherz, doch schnell war klar: die ver.di-Tarifrunde ist wirklich schon zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat. Nachdem 300.000 KollegInnen im Warnstreik waren und Kindergärten, Busse, Krankenhäuser den Betrieb einschränken mussten, kam am 31. März die überraschende Einigung: 3,5% mehr in diesem Jahr, 2,8% mehr im nächsten Jahr. Erst auf den zweiten Blick wurden die Kröten sichtbar, die die KollegInnen jetzt schlucken müssen: zwei Jahre Laufzeit, keine 200 Euro Festbetrag, der für die KollegInnen in den unteren Lohngruppen eine spürbare Erleichterung gewesen wäre und Verzicht auf 1 Tag Urlaub für die KollegInnen im Alter zwischen 40 und 55.

Die Tarifkommision war von dem Ergebnis nicht überzeugt – erst im zweiten Anlauf konnte Bsirske eine knappe Zustimmung zu dem Kompromiss erreichen. Vielleicht hat sich der ver.di-Vorstand vor dem medialen Trommelfeuer gefürchtet, das eine harte Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern begleitet hätte. Selbst dieser Abschluss in Höhe der Inflationsrate hat ja schon zu altbekannten Beissreflexen der Presse geführt: das Ende aller Sparbemühungen und eine Verschärfung der Verschuldungskrise waberte durch die Kommentarseiten. Wenn man dieser Logik konsequent folgt, dann müssen die KollegInnen im öffentlichen Dienst noch Geld mitbringen, um den Steuerzahler zu schonen.
Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, wenn ver.di ihre Mitglieder (und Vorstände) sowie die Öffentlichkeit auf diese dummdreisten Argumente vorher vorbereitet hätte, statt gleich beim ersten einigermaßen verhandelbaren Angebot einzuknicken.
Die Hoffnung vieler KollegInnen, dass gleichzeitige Tarifverhandlungen und Streiks bei IG Metall und ver.di den öffentlichen Druck in allen Bereichen erhöhen können, ist jetzt jedenfalls dahin. Das lässt auch nicht unbedingt Gutes erwarten für die Tarifrunde der IG Metall. Schon jetzt hat IG-Metall-Vorsitzender Huber gegenüber dem Handelsblatt den ver.di-Abschluss gelobt – er rechnet sich das Ergebnis schön und kommt auf 4,9% in einem Jahr. Die Rechnung möchte ich sehen – so fortschrittliche Mathematik hatten wir in der Schule nicht. Soll das ein Angebot für die Reduktion der 6,5%-Forderung auf besagte 4,9% sein?
Vielleicht hat Huber gemerkt, das es nicht so einfach ist, die beiden anderen Forderungen der Tarifrunde in der Öffentlichkeit darzustellen: Übernahme der Auszubildenden und Mitbestimmungsrechte bei der Einstellung von Leiharbeitern. Es bleibt zu hoffen, dass sich die IG Metall bei der Aufstellung dieser Forderungen nicht verhoben hat. Denn es ehrt die Gewerkschaft, dass sie immer wieder gesellschaftliche Themen wie die Perspektivlosigkeit für junge KollegInnen oder die schmutzige Ausbeutung von Leiharbeitern aufgreift. Umso größer die Freude, wenn es der IG Metall gelingt, diese Forderungen durchzusetzen – auch gegen den Mainstream in den Kommentarspalten.